08/11/2025 0 Kommentare
Flüssige Kirche
Flüssige Kirche
# geistliche Impulse/Extrablatt MH

Flüssige Kirche
Neuerdings ist immer wieder einmal die Rede von einer „flüssigen Kirche“. Der Begriff „flüssig“ ist aus der Soziologie übernommen, in der damit eine „flüssige Gesellschaft“ beschrieben wird.
Eigentlich ist die „flüssige Kirche“ aber eine Idee des Propheten Ezechiel, jedenfalls wenn wir Wilhelm Willms und seiner Deutung der Vision von der Tempelquelle folgen. Im biblischen Text lässt Gott den Propheten Ezechiel seine Pläne schauen: „Wasser strömte unter der Tempelschwelle hervor“ (Ezechiel 47,1). Willms interpretiert das so, dass nach und nach der ganze Tempel flüssig wird und so zu seiner eigentlichen Bestimmung findet. Wohin das Tempelwasser gelangt, dort wird die Welt wieder lebendig, gesund und fruchtbar (vgl. Ezechiel 47,8–12).
Im alttestamentlichen Tempel sieht Willms auch ein Bild für die heutige Kirche:
„die welt atmet auf
seit die kirche flüssig geworden ist
seit sie sich verströmt
seit sie aus der erstarrung heraus ist
seit sie fließt …“
(Wilhelm Willms, in: der geerdete himmel, 1974)
Wenn wir das weiterdenken, könnte eine „flüssige Kirche“ bedeuten, dass ihre Ränder durchlässig werden. Es gibt ja sowieso drinnen welche, die eher draußen sind, und andere draußen, die eigentlich drin sind. Es gäbe vielleicht eine gestufte Zugehörigkeit: Statt „ganz oder gar nicht“ macht jemand nur für eine bestimmte Zeit mit oder beteiligt sich nur an einem besonderen Projekt – dem Wunsch vieler entsprechend: „ohne Bindung in Verbindung bleiben“. Manche wären eher stille Beobachter, andere würden sich aktiv engagieren.
Auch die kirchliche Sprache könnte aus ihrer Erstarrung herausfinden und verständlicher werden. Im Vordergrund stünden die Beziehungen untereinander, nicht so sehr die Institution. Auf zu viel Kontrolle könnte verzichtet werden, weil Vertrauen besser ist.
Und jeder Einzelne könnte sich fragen: Wieviel Mauer brauche ich um mich? Zu wieviel Flexibilität bin ich fähig? Wie könnte ich noch lebendiger werden?
Eigentlich alles nichts Neues. Siehe Ezechiel.
Ihr Walter Heck SJ, Wien

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