Gibt es denn wirklich noch Leute, die an ein Leben nach dem Tod glauben? Diese Frage, kritisch und etwas frech an mich herangetragen, wollte mich provozieren, doch etwas zu meinem Glauben zu sagen. Ja, ich glaube an das ewige Leben und dazu hatte ich vor Jahren ein sehr eindrückliches Erlebnis.

Eine Frau hatte mich ins Hospiz rufen lassen. Sie war noch recht jung und war mit ihrer Mutter aus dem damaligen Weißrussland nach Deutschland gekommen. Ich hatte sie acht Jahre vorher kennengelernt. Da war sie ein Schulkind der Kommunionklasse und litt schon damals an Krebs. Wegen der Krankheit fehlte sie immer wieder im Unterricht. Ihre Mutter bat mich deshalb, das Kind auf die Erstkommunion persönlich vorzubereiten. Mir ist noch in Erinnerung, dass ich sie immer wieder zuhause oder in Kliniken besuchen musste und dass die Krankheit oft nur kurze Besuche zuließ, sodass ich am Ende unsicher war, was das Mädchen verstanden hatte. Schließlich konnte sie doch am Fest teilnehmen. Sie trug ein weißes Kleid und strahlte. Danach verloren wir uns aus den Augen.

Jetzt stand ich vor ihrem Bett und hatte Mühe, das Mädchen von damals wiederzuerkennen. Wie erwachsen und wie schön sie war! Bei ihr saßen ihre Mutter, eine Tante und eine Cousine. Ihre Mutter erzählte mir, welche erstaunliche Entwicklung sie und ihre Tochter seit der Erstkommunion gemacht hatten. Das Mädchen hatte sich künstlerisch betätigt, Klavierspiel gelernt, das Gymnasium besucht und mit ihrer Mutter große Reisen unternommen. Die Mutter ihrerseits hatte sich aufgrund der Krankheit der Tochter ein umfassendes medizinisches Wissen angeeignet, sich als Krankenschwester ausbilden lassen, Bücher über Religionen gelesen und so ihre eigene Spiritualität entdeckt.

Mit Gottes Blick

Während wir uns so unterhielten, wurde die Kranke unruhig. Die Mutter ging zu ihr hin. Sie erhob sich und sah uns Anwesende der Reihe nach mit großen, tiefen Augen an. Dann sank sie zurück ins Kissen und starb.

Ihr Blick berührt mich noch heute. In ihm war so viel Präsenz und Liebe! Mir war, als schaute sie Gott und durch sie hindurch sähe uns Gott an. „Sie hat auf Sie gewartet“, sagte die Mutter später zu mir. Mir wurde klar, dass sie mich am intensivsten Augenblick ihres Lebens hatte teilhaben lassen. Seitdem weiß ich, sie lebt!

Ewiges Leben, das ist der Augenblick, in dem Gott mich anschaut und ich mich für Gott öffne. Von den Engeln und den Heiligen sagt die Schrift, dass sie Gott schauen. Wir Erdlinge nehmen im Gedenken an die Verstorbenen Anteil an diesem Schauen auf Gott. So können die Verstorbenen für uns eine Brücke zum ewigen Leben sein.

Ihr Markus Franz SJ, Köln