Ausreden lassen

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# geistliche Impulse/Extrablatt MH

Ausreden lassen

Ende dieses Monats werden es sechs Jahre, die ich hier in Sambia lebe. Sechs Jahre sind eine lange Zeit und auch wieder nicht – für Inkulturation schon gar nicht.

Ein Volunteer erzählte mir neulich, dass er in einem Seminar zum Thema interkulturelles Lernen dem Satz begegnet ist: „Die Leute, zu denen ihr geht, haben immer recht.“ In einer Seminar-Atmosphäre ist dieser Satz vielleicht spannend und kann zum Nachdenken anregen. Es ist ja tatsächlich oft so, dass in unserem Kopf ein kleiner Rechthaber sitzt und ständig reinruft: „Falsch! Das ist Unsinn! Das geht so nicht!“ Besonders wir Deutschen sind in dieser Hinsicht durchaus talentiert. Viele Dinge sind kulturell geprägt – nur weil das bei uns so gemacht wird, muss es ja nicht überall so sein. In einem Jahr kann man nicht eine ganze Kultur umkrempeln und in zehn Jahren auch nicht.

Auf der anderen Seite kommt es doch auf ein respektvolles Miteinander an – gemeinsam der Wahrheit ein Stück näher zu kommen. In jeder Kultur gibt es alle Sorten von Menschen. Und auch wir mit unseren Blindheiten haben manchmal auch richtige Einsichten. Wenn man zu schnell das Recht an den Anderen abtritt, kann man ihm auch Unrecht tun.

Ich versuche das für mich auf die Formel zu bringen: „Ausreden lassen!“ Dieser Satz hat zwei Seiten und zwei Wahrheiten – je nachdem, aus welcher Richtung man ihn betrachtet.

Seit ich nach Sambia gekommen bin, habe ich schon viele Geschichten gehört, eine der einprägsamsten vor ein paar Tagen. In Kasisi gibt es einen großen Gemüsegarten. Auf die Frage, warum in den letzten Wochen gar nichts geerntet worden ist, kommt die Antwort: „Die freilaufenden Hühner haben alles Gemüse aufgefressen.“ Auf Nachfrage beim Hühnerhalter in der Nachbarschaft bekomme ich die Antwort: „Ich habe nur noch drei Hühner.“ Ich denke mir, das müssen aber die gefräßigsten Hühner der ganzen Welt sein. In Wirklichkeit war meine Reaktion nicht so gelassen. Bei manchen Geschichten reißt eben der Geduldsfaden.

Und das ist die doppelte Wahrheit: Ausreden sind zu lassen, sie helfen nicht weiter – in keiner Kultur. Aber ausreden lassen ist genauso wichtig, selbst wenn die Geschichten hanebüchen sind. Der beste Weg liegt irgendwo zwischen Unterbrechen, um den Quatsch zu beenden, und sich einlullen zu lassen.

Von Christus lernen wir demütig zu sein und gleichzeitig auch mit Autorität zu reden. Die Wahrheit ist größer als wir und doch auch in uns.

Ihr Claus Recktenwald SJ, Kasisi, Sambia


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