
21/06/2025 0 Kommentare
Eine große Täuschung?
Eine große Täuschung?
# geistliche Impulse/Extrablatt MH

Eine große Täuschung?
Vorgestern wurden sie wieder „getäuscht“, die Sinne. In Gegenden, wo das „Hochfest des Leibes und Blutes Christi“ kein extra Feiertag ist, passiert es am morgigen Sonntag: Eine riesige Demo schlängelt sich durch die Straßen. Für mich war der Fronleichnamstag bereits in der Jugendzeit einer der frohesten Tage im Kirchenjahr: dieses Aufbrechen der engen Kirchenmauern und Hinausgehen mit allen Fahnen, Statuen, Laternen, mit Blumen, Musik und Trachten, mit allem, was das katholische Herz erfreut.
Bei Fronleichnam finde ich es interessant, dass an diesem der Eucharistie besonders gewidmeten Fest nicht das Schauen und Niederknien im Mittelpunkt steht, sondern das Herumtragen und Gehen und Segnen durch die Straßen und an die Orte, wo Menschen leben und arbeiten.
Unvergessen bleibt mir das erste Fronleichnamsfest nach meiner Priesterweihe: Die Prozession machte einen Halt zur Verkündung des Evangeliums, es folgte der Segen. Das „Velum“ wird mir umgelegt, der Chor singt, ich nehme die Monstranz, drehe mich um. Der Hauptmann der Gebirgsschützen ruft „Schützen zum Gebet!“ und salutiert, Weihrauch steigt empor. Ich hebe die Monstranz, Trommelwirbel, die Sonne brennt, von der Anhöhe ein lauter Böllerschuss. Die Alten zucken zusammen, Kinder schreien, Hunde bellen, Segen – das Echo verhallt in den Bergen.
Was war das jetzt? Barockes „Schauspiel“ in nüchterner Zeit? Welch ein Wirbel um eine kleine, runde Hostie in der Monstranz … Die Hostie ist doch ein Stück Brot, allerdings Brot wie kein anderes, zeigt sie doch Jesu Hingabe am Kreuz – verschenkt an uns.
Papst Leo weist, in der Tradition von Franziskus stehend, auf Kraft und Segen der Volksfrömmigkeit. Diese zeigt sich an Fronleichnam, Leib und Seele ergreifend, erstaunlich „modern“. „Sieh, mit ganzem Herzen schenk ich dir mich hin, weil vor solchem Wunder ich nur Armut bin“ dichtet Thomas von Aquin. Darauf folgen sogleich Ernüchterung und Auflösung: „Augen, Mund und Hände täuschen sich in dir, doch des Wortes Botschaft offenbart dich mir.“
Eine große Täuschung? Was gilt im Leben: Äußerliches, Inneres? Der katholische Theologe und Kulturhistoriker Thomas Berry (1914–2009) schreibt:
„Was mit der äußeren Welt geschieht, geschieht mit der inneren Welt. Ohne die auffliegenden Vögel, die Geräusche und die Farbenpracht der Insekten, den Anblick der Wolken bei Tag und der Sterne in der Nacht, verarmen wir in allem, was uns menschlich macht.“
Mögen Sie in diesen sommerlichen Tagen und Wochen spüren dürfen, dass Jesus – wenn auch manchmal geheimnisvoll verborgen – alle Wege mit Ihnen geht!
Ihr Benedikt Lautenbacher SJ, München

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