31/05/2025 0 Kommentare
"Dass sie alle eins sind!"
"Dass sie alle eins sind!"
# geistliche Impulse/Extrablatt MH

"Dass sie alle eins sind!"
Das Johannesevangelium hat für mich besondere Reize: Wir kennen nicht den Verfasser, obwohl der heute vorliegende Text den Eindruck erwecken möchte, es seien Aufzeichnungen vom Lieblingsjünger. Die Texte erzählen, als wäre ein Stenograph bei den Reden Jesu dabei gewesen. Und doch wissen wir: Das sind Texte, die poetisch Jesu Anliegen zur Sprache bringen. Zu solchen Worten gehört auch das Sonntagsevangelium (Joh 17,20–26) und Jesu Bitte, dass die Gläubigen eins sein mögen oder eins sind wie Jesus und sein Vater.
Über lange Zeit – Jahrhunderte – waren mit dieser Einheit nicht nur gemeinsame Glaubenssätze gemeint (wie im Konzil von Nicäa vor 1700 Jahren), sondern auch Uniformität. Sie spiegelt sich wider im Festhalten an der tridentinischen Messe aus dem 16. Jahrhundert gegenüber der muttersprachlich vielfältigen Gestaltung heutiger Feiern. Uniformität steckt auch hinter der jahrhundertealten, kränkenden Zurückweisung von Frauen in der katholischen Kirche mit der Erklärung, Jesus habe ja nur Männer zu Aposteln gemacht.
Bei Begriffen wie der Einheit denke ich an die Erfahrung von Menschen in der DDR mit dem Wunsch, einem politischen Zwangssystem zu entkommen. Da gab es mutige, hoffnungsvolle, widerständige Menschen, die sich in Kirchen trafen und dann auf den Straßen demonstrierten. Wir kennen das Ergebnis dieser Sehnsucht nach Freiheit und einer größeren Einheit in Deutschland.
Ich denke an meine Heimat als einheitlichen Lebensraum: an Berge mit steilen Anstiegen, an weite Hügellandschaften mit Wiesen und Wäldern, an Täler und tiefe Einschnitte, an kleine Dörfer und große Städte, an die Vielfältigkeit der Kulturen, Sprachen und Lebensgewohnheiten, an den Dialog zwischen den Menschen, ja auch an den notwendigen Streit, wenn es um wichtige Fragen unseres Landes oder der ganzen Menschheit geht.
Dann ist Einheit nicht Uniformität, aber eben auch nicht Trennung, wenn andere anders denken. Es geht um Ehrlichkeit und Fairness füreinander, um ein Miteinander für das Wohl aller Menschen, ob reich oder arm, krank oder gesund. Es geht um den Erhalt der Schönheit von Heimat, nicht um Bombardierung, Rassismus, Bevormundung oder Abweisung, wenn einer in Not an unsere Türen pocht und Hilfe erbittet. Und um Ökumene, nicht um Abgrenzung.
„Dass alle eins sind wie wir eins sind.“ Sprechen wir über und hoffen wir auf Einheit, die Vielfalt zulässt, die uns zusammenführt in der Gestaltung der Welt, in der Rettung von Lebensraum und Lebensformen – wie eine bunte, vielfältig blühende Bergwiese, die es zu erhalten gilt.
Karl Rahner und Heinrich Fries prägten deshalb für die Ökumene als Bewegung auf größere Einheit das Wort „Einheit in Vielfalt“. Und dort suche ich, suchen wir das „Eins-sein“.
Ihr Jörg Dantscher SJ, München

Kommentare